top of page

Autistische Trauer

Mitten in der Vorbereitung auf mein Abitur erfuhr ich, dass meine Mutter sterben wird. Wir waren zwar mit dem Wissen darum, dass sie nie ganz gesund war und jedes Jahr, das sie erleben durfte, ein Geschenk war, aufgewachsen, jedoch wurde die Theorie damals mit einem Satz zur Realität. Fünf Monate später war meine Mutter tot. Das war in den 90er Jahren, die Hospizbewegung war zwar schon bekannt, diese Idee drang aber noch nicht bis aufs fränkische Land vor und die Tatsache, dass mein Vater Arzt war, verminderte die Hilfe von außen ebenso. Wir drei Kinder versuchten also allein unseren Weg zu finden, unsere Familie wuchs nicht zusammen, sie zerbrach. Sie zerbrach an der Überforderung der einzelnen Mitglieder. Einem Vater, der als Arzt dem Sterben seiner Frau hilflos zusehen musste, Kinder, die, überfordert in ihren neurodivergenten Denkprozessen, versuchten am Leben festzuhalten.

Mittlerweile sind über dreißig Jahre vergangen, mein ältester Bruder ist gut zwanzig Jahre nach dem Tod meiner Mutter ebenfalls verstorben und ich habe durch diese Erfahrungen meinen Weg in die Sterbe- und Trauerbegleitung gefunden. Als Autistin empfinde ich das Leid anderer Menschen sehr stark und kann dieses oft sehr treffend in Worte fassen, was mir immer wieder als große Stärke zugeschrieben wird. Ich konnte durch diese Arbeit meine Trauer neu erleben und endlich, nach knapp dreißig Jahren verstehen lernen, wie sich meine Trauer von der in unserer Gesellschaft "normalen" unterscheidet.

2.jpeg

Trauer ist individuell

Seit einigen Jahren bauen sich die Tabuthemen Tod und Sterben langsam ab. Wir lernen, uns, wenn auch noch zögerlich, über diese zu unterhalten. Immer öfter können wir in großen Zeitungen über den Umgang mit dem Tod, dem Sterben und der Trauer lesen. Auf social media haben sich mittlerweile sehr umfassende Communities gebildet. Trauerbegleitung findet statt, wenn auch noch ausbaufähig, was die Akzeptanz angeht. Menschen können sich off- und online ehrenamtlich begleiten lassen, Trauercafés besuchen und/oder sich mit anderen Trauernden austauschen. Dabei steht immr im Mittelpunkt, dass Trauer eine sehr individuelle Angelegenheit ist. Wenn der eine Mensch die Abwechslung in durchtanzten Nächten bei lauter Musik sucht, findet der andere innere Ruhe im Schweigekloster. Während die eine Trauernde immerzu über ihre Trauer und den Verlust sprechen möchte, kommt dem anderen Betroffenen kein Wort über die Lippen.

Auch wenn Trauer und Sterben keine Topthemen für einen gelungenen Abend sind, so lernen wir doch immer mehr, dass Trauer eine individuelle Angelegenheit ist. Soweit so gut.

2.jpeg
sonnenuntergang.jpg

Wie viel Individualität ist erlaubt?

Bei aller Individualität bewegen wir uns gesellschaftlich doch, wie meist, in einem Rahmen. Einem neurotypischen Trauerrahmen. Menschen dürfen innerhalb dieses Rahmens reagieren, doch welche Reaktionen ernten Menschen, die, wie auch AutistInnen, irgendwie nicht trauern?

Eine gewagte Aussage, AutistInnen würden nicht trauern. Das stimmt so auch nicht. Natürlich trauern alle Menschen bei großem Verlust - jedoch stellt sich die Frage, ob das Wie gesellschaftlich auch akzeptiert ist, ob es respektiert wird, ob Menschen sich für ihre Art der Trauer rechtfertigen müssen.

Meine eigene Erfahrung, meine Ausbildung zur Trauerbegleiterin, ebenso meine Arbeit in diesem Thema und die sehr vielen Gespräche und Interviews mit Betroffenen lassen ein Bild von autistischer Trauer entstehen. Auch autistische Trauer ist individuell, wenn eben auch autistisch.

Wenn Sie betroffen sind oder sich über ihre Art der Trauer und/oder Ihre Erfahrungen austauschen möchten oder aber eine passende Begleitung in Ihrer Trauer suchen, schreiben Sie mir gern.

bottom of page